Die Meinungsfreiheit wurde in Frankreich durch die Proklamation der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789 verankert, deren Geist durch ihren Artikel 4 zusammengefasst werden kann:
„Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet: So hat die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen nur die Grenzen, die den anderen Gliedern der Gesellschaft den Genuss der gleichen Rechte sichern. Diese Grenzen können allein durch Gesetz festgelegt werden.“
Sylvia Preuss-Laussinotte, Autorin von „Die Meinungsfreiheit“ (2014), erklärt, dass in Frankreich die Vision der Meinungsfreiheit, die während der Debatten um die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vorherrschte, nicht die von Robespierre und Marat war – „Wenn alles gesagt werden darf, spricht die Wahrheit für sich selbst und ihr Triumph ist gesichert“ –, sondern die von Sièyes und La Rochefoucault: Eine begrenzte Meinungsfreiheit, deren Umfang vom Gesetz, das den allgemeinen Willen vertretet, definiert wird. 1 So ist man weit entfernt von einer absoluten Vision der Meinungsfreiheit, wie sie zum Beispiel im 1. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten vorgesehen ist 2. Die Meinungsfreiheit wird in Frankreich geregelt und ihr Missbrauch ist strafbewehrt.
Wie wurde das heikle, aber notwendige Gleichgewicht zwischen der Meinungsfreiheit, die oft als „Eckpfeiler“ der Demokratie bezeichnet wird, und der Unterdrückung ihres Missbrauchs in das Gesetz aufgenommen?
Das Gesetz vom 29. Juli 1881 über die Pressefreiheit bekräftigt den Grundsatz der Freiheit der öffentlichen Meinungsäußerung, definiert aber auch deren Grenzen, indem es eine bestimmte Anzahl von „Pressedelikten“ festlegt, die als Missbrauch dieser Freiheit angesehen werden.
Es muss daran erinnert werden, dass das Gesetz vom 29. Juli 1881 über die Pressefreiheit entgegen dem, was sein Titel vermuten lässt, nicht nur für journalistische Äußerungen gilt, sondern für alle Formen der öffentlichen Äußerung. Der Titel leitet sich von der Tatsache ab, dass es ursprünglich de facto für die geschriebene Presse verfasst wurde, da diese damals eines der einzigen (wenn nicht das einzige) Mittel war, um ein großes Publikum anzusprechen.
Heute, natürlich, können die Kommentare jedes Einzelnen mit der Entwicklung des Internets und der sozialen Netzwerke potenziell ein großes Publikum erreichen und werden auch von diesem Gesetz betroffen. Die Rechtsanwältin Agathe Lepage weist zu diesem Thema darauf hin, dass „es wirklich das Internet ist, das dem Prinzip der Meinungsfreiheit vollen Raum gibt, da es unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Kommunikation für einen Teil der Gesellschaft aufhört, theoretisch zu sein.“ 3
In seiner ursprünglichen Form definierte das Gesetz von 1881 die folgenden 9 Pressedelikte (die durchgestrichenen Delikte wurden 2013 entfernt oder wurden in das Strafgesetzbuch aufgenommen):
Während einige Straftaten aus der ursprünglichen Liste entfernt wurden, wurden andere hinzugefügt. Dies ist zum Beispiel der Fall bei der unwirksamen Aufforderung zu bestimmten Verbrechen oder Straftaten, wie zum Beispiel die Verteidigung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder die Aufforderung zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt aufgrund der Herkunft, der Ethnie, der Nation, der Rasse oder einer bestimmten Religion (Pleven-Gesetz, 1972), des Geschlechtes, der sexuellen Orientierung oder Identität, oder der Behinderung (Gesetz Nr. 2004-1486 vom 30. Dezember 2004) 4. Nach dem Gayssot-Gesetz (1990) wurde auch die Anfechtung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in die Liste der Pressedelikte aufgenommen (Artikel 24 bis).
Es ist wichtig anzumerken, dass der Verfassungsrat im Jahr 2009 daran erinnert hat, dass jede Einschränkung der Meinungsfreiheit „notwendig, angemessen und verhältnismäßig zum verfolgten Ziel“ sein muss. Außerdem kann nur eine Äußerung, die in der Öffentlichkeit gehalten oder auf irgendeine Weise öffentlich gemacht wurde, ein Pressedelikt im Sinne des Gesetzes von 1881 darstellen.
Das Gesetz von 1881 legt ein spezielles Verfahren für Pressedelikte fest (Siehe insbesondere Artikel 50 und 53).
Um systematisch eine Person zu identifizieren, die für ein Pressedelikt haftbar ist, sieht dieses Gesetz ein „Kaskaden“-Verantwortungssystem vor. Die ersten Personen, die für ein Pressedelikt haftbar gemacht werden können, sind der Herausgeber, der Verleger oder der Mitherausgeber des Mediums, das die besagte Äußerung veröffentlicht hat 5. Andernfalls kann der Autor der betroffenen Aussage, dann der Drucker des Mediums und schließlich seine Vertreiber und Verkäufer (in dieser Reihenfolge) haftbar gemacht werden.
Dieser Mechanismus ist originell, weil nach dem gemeinen Recht der Autor und der Drucker, soweit sie den Gegenstand der Straftat wesentlich schaffen, zuerst hätten belangt werden müssen. Hier ist dies nicht der Fall: Es ist die Person, die die Entscheidung trifft, einen rechtswidrigen Inhalt zu veröffentlichen (Herausgeber, Verleger oder Mitherausgeber der Publikation), die als erste Person für die Straftat haftbar ist.
In der ursprünglichen Fassung des Gesetzes von 1881 betrug die Verjährungsfrist für Pressedelikte drei Monate. Der Zweck dieser kurzen Verjährungsfrist war es, die Pressefreiheit zu schützen – ein Medium konnte nicht für eine schon alte mögliche Straftat belangt werden.
Angesichts der Zunahme der öffentlichen Hassreden, die seit der Entwicklung des Internets im Umlauf sind, hat der Gesetzgeber jedoch die Verjährungsfrist für bestimmte Verstöße gegen die Meinungsfreiheit verlängert (Perben II-Gesetz von 2004 und dann Gesetz Nr. 201-56 vom 27. Januar 2014). Artikel 65-3 des Gesetzes von 1881 wurde daher geändert, um die Verjährungsfrist für die Straftäte der Aufforderung zur Diskriminierung, der Beleidigung und der üblen Nachrede auf ein Jahr zu verlängern. Für andere Pressedelikte beträgt die Verjährungsfrist weiterhin drei Monate.
Das im Gesetz von 1881 vorgesehene Kaskadenhaftungssystem wird heute kritisiert, weil es nicht gut auf den Betrieb des Internets anwendbar ist. 6. Zum Beispiel scheint niemand tatsächlich in der Lage zu sein, die Rolle des Herausgebers für Nachrichten, die von Einzelpersonen in sozialen Netzwerken gepostet werden, zu übernehmen. Generell gilt, dass digitale Plattformen derzeit keine wirkliche Verantwortung für die auf ihren Seiten veröffentlichten Inhalte haben, da sie nicht als Inhaltsverleger, sondern lediglich als Inhaltshoster gelten. 7
In diesem Kontext scheint der Einzige, der für rechtswidrige Äußerungen, die in einem sozialen Netzwerk veröffentlicht werden, haftbar gemacht werden kann, der Autor der betroffenen Äußerungen zu sein. Das Problem besteht darin, dass in sozialen Netzwerken der Autor eines Inhalts anonym sein kann. Natürlich ist die Anonymität gegen die Justizbehörde nicht verwendbar, aber die technischen Schwierigkeiten, sie aufzuheben, können so groß sein, dass das Gelingen eines Verfahrens nie garantiert wird. 8
Das Gesetz von 1881 wurde in einem historischen Kontext konzipiert, in dem die gedrückte Presse das Hauptmedium der öffentlichen Meinungsäußerung war. Dies erklärt wahrscheinlich die kurze Verjährungsfrist für Pressedelikte: Die in einer Papierzeitung veröffentlichten Inhalte blieben den Lesern nur so lange zugänglich, bis die Tagesausgabe durch die Ausgabe des nächsten Tages abgelöst wurde.
Die Entwicklung des Webs hat dies verändert. Das Internet hat einen fast unbegrenzten Speicher: Jeder kann nun auf alte Inhalte zugreifen, sie lesen und verbreiten. Deshalb ist die sehr kurze Verjährungsfrist für Pressedelikte in einer vernetzten Welt nicht mehr unbedingt angemessen.
Da das Internet all jenen, die sich öffentlich äußern wollen, die Möglichkeit dazu gegeben hat, hat seine Entwicklung logischerweise zu einem Anstieg der Menge an veröffentlichten Inhalten geführt. Die Mittel, die der Justiz zur Verfügung stehen, um über Pressedelikte zu beraten, haben sich jedoch bei weitem nicht entsprechend entwickelt.
Die Überfüllung der 17. Kammer des Pariser Gerichts – einer auf Pressesachen spezialisierten Strafkammer – veranschaulicht dieses Phänomen. Der Anstieg der Fallzahlen führt natürlich zu sehr langen Verhandlungszeiten. Sollten nicht vereinfachte und schnellere Verfahren entwickelt werden, um mit der Zunahme der Fälle von missbräuchlicher Nutzung der Meinungsfreiheit umzugehen?
Wie wir sehen, wirft die Entwicklung des Internets die Frage wieder auf, wie die Meinungsfreiheit in Frankreich geregelt werden soll und kann.