Synthese eines wissenschaftlichen Artikels, die von der Fondation Descartes hergestellt wurde:
Pennycook, G., Cannon, T. D., & Rand, D. G. (2018). Prior exposure increases perceived accuracy of fake news. Journal of experimental psychology: general, 147(12), 1865.
Pennycook, G., & Rand, D. G. (2019). Lazy, not biased: Susceptibility to partisan fake news is better explained by lack of reasoning than by motivated reasoning. Cognition, 188, 39-50.
Bronstein, M. V., Pennycook, G., Bear, A., Rand, D. G., & Cannon, T. D. (2019). Belief in fake news is associated with delusionality, dogmatism, religious fundamentalism, and reduced analytic thinking. Journal of Applied Research in Memory and Cognition, 8(1), 108-117.
Wir stellen hier eine Reihe von drei Artikeln über Untersuchungen vor, die von einem Forschungsteam auf dem Gebiet der Psychologie durchgeführt wurden. Diese Artikel wurden 2018 und 2019 veröffentlicht und untersuchen die Funktionsweise des menschlichen Denkens hinsichtlich des Glaubens an Fake News. Sie identifizieren zwei kognitive Mechanismen, die sich auf den Glauben an Fake News auswirken können: Analytisches Denken würde zu größerer Skepsis verhelfen, wohingegen intuitives Denken leichtgläubiger machen würde. Der erste Artikel zeigt, dass die wiederholte Einwirkung von Fake News unsere Leichtgläubigkeit erhöht, selbst wenn der Leser ausdrücklich durch Hinweise gewarnt wird. Der zweite Artikel analysiert den Einfluss der intuitiven Denkweise auf unsere Leichtgläubigkeit. Der letzte Artikel bestätigt die Rolle der Intuition in unserem Glauben an Fake News.
Dieser Artikel zeigt, dass der wiederholte Kontakt mit Fake News die Wahrnehmung ihrer Exaktheit steigert. Vorweg sei angemerkt, dass die Studie auf Englisch durchgeführt wird. Die Teilnehmer sollen die accuracy der ihnen vorgelegten Informationen beurteilen. Wir haben uns entschieden, den Begriff accuracy mit Exaktheit zu übersetzen. Zu beachten ist weiterhin, dass für die Autoren eine Gleichwertigkeit dazwischen besteht, an etwas zu glauben und es als exakt zu erachten.
Zahlreiche psychologische Studien haben deutlich gemacht, dass die Wiederholung einer Information diese aus der Sicht der Personen exakter erscheinen ließ. Dieses Phänomen, genannt „Wahrheitseffekt“, könnte damit erklärt werden, dass Wiederholung eine Information im Gedächtnis leichter abrufbar macht. Wir würden diesen leichten Zugriff auf das Gedächtnis als ein Zeichen der Selbstverständlichkeit der Information auffassen und dieser somit möglicherweise unser Vertrauen schenken. Je leichter man sich sozusagen erinnern könne, desto glaubwürdiger erschiene die Erinnerung. Dieser Effekt könnte leider auf die Fake News zutreffen: Solche, die wiederholt in unseren Newsfeeds der sozialen Netzwerke auftauchen, würden an Glaubwürdigkeit gewinnen. Die Autoren werden diese Hypothese in drei Studien überprüfen.
Die entwickelte Methode:
Die erste Studie in diesem Artikel überprüft die Wirkung der Wiederholung auf falsche und absurde Informationen, wie zum Beispiel „die Erde hat die Form eines perfekten Quadrates“.
Die 409 für die Studie gewonnenen Teilnehmer sollen auf einer Skala von 1 bis 6 ihr Interesse für diese falschen und absurden Informationen bewerten (den Teilnehmern wird nicht mitgeteilt, dass diese Informationen falsch sind). Die Autoren legen ihnen gleichfalls falsche oder wahre Informationen vor, bei denen es völlig unwahrscheinlich ist zu erkennen, ob sie grundsätzlich falsch oder wahr sind (zum Beispiel lautete der Familienname von Billy the Kid tatsächlich Bonney, doch wissen dies nur wenige). Anschließend, nachdem die Teilnehmer nach einigen persönlichen Angaben befragt wurden (Alter, Geschlecht usw.), legen die Autoren ihnen erneut die Informationen vor und fordern sie auf zu bewerten, in welchem Maße sie diese als exakt erachten.
Um die Wirkung der Wiederholung zu überprüfen, unterbreiten die Autoren auch Informationen, von denen die Teilnehmer zu Beginn der Studie nicht Kenntnis genommen haben. Die Autoren versuchen damit zu bestimmen, ob die zuvor bereits gezeigten Informationen als exakter bewertet werden als diese nur einmal gezeigten Informationen.
Ergebnis:
Die falschen und absurden Informationen werden von den Teilnehmern durchschnittlich als wenig plausibel bewertet, unabhängig davon, ob sie ein- oder zweimal gezeigt wurden. Im Gegensatz dazu hat die Wiederholung einen positiven Effekt auf wahre oder falsche Informationen, die die Teilnehmer höchstwahrscheinlich nicht kennen: Im Durchschnitt wird wiederholten Informationen ein höherer Wahrheitsgehalt zugeschrieben als nur einmal gezeigten Informationen.
Schlussfolgerung:
Die Autoren wenden sich nun den Fake News zu. Ist es möglich, dass die Wiederholung die Personen leichtgläubiger gegenüber Fake News macht? Bestünde dieser Effekt trotz der Warnhinweise fort?
Die entwickelte Methode:
Die Studie zählt 949 Teilnehmer. Die Vorgehensweise ist im Wesentlichen dieselbe wie in Studie 1.
Den Teilnehmern werden hier vier Typen von Informationen vorgelegt, deren Format die Nachrichten in den sozialen Netzwerken imitiert:
Der Ablauf des Versuchs ist derselbe wie in Studie 1. Wenn die Personen die Exaktheit der Informationen beurteilen sollen, werden neue Informationen, die zu den vier vorgestellten Kategorien gehören, den anderen beigefügt.
Ergebnisse:
Es genügt also, eine Falschnachricht einmal zu wiederholen, um ihr in den Augen der Teilnehmer mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Diesmal versuchen die Autoren zu bestimmen, ob der Wahrheitseffekt funktioniert, wenn die Falschinformation eine Woche nach dem Experiment ein drittes Mal vorgelegt wird.
Die entwickelte Methode:
Die Methode ist dieselbe wie bei der zweiten Studie, nur werden die Teilnehmer eine Woche später dazu aufgefordert, ihre Beurteilung zu wiederholen. Sie werden also dreimal denselben Fake News ausgesetzt.
Ergebnisse:
Dank dieses ersten Artikels konnten wir feststellen, dass das wiederholte Einwirken von Fake News deren Glaubwürdigkeit erhöht. Jedoch wissen wir noch nicht, welcher Mechanismus für die Leichtgläubigkeit in Bezug auf Fake News verantwortlich ist. Der zweite Artikel erlaubt ein besseres Verständnis dafür.
Der Titel dieses Artikels (wörtlich übersetzt) ist etwas rätselhaft. Die Autoren haben im vorhergehenden Artikel außerdem festgestellt, dass der Glaube an Fake News stärker war, wenn diese das politische Bewusstsein der Teilnehmer ansprachen. Eine linke Falschinformation würde sozusagen eher eine linksgerichtete Person überzeugen und umgekehrt. Auch wenn dies offensichtlich erscheinen mag, bedarf dieses Ergebnis einer Erklärung.
Zwei Erklärungen werden in diesem Artikel vorgeschlagen und überprüft: die klassische Theorie des Denkens sowie die Theorie des motivierten Denkens.
Die klassische Theorie des Denkens stützt sich auf ein Modell, welches zwei verschiedene Mechanismen in der menschlichen Wahrnehmung identifiziert. Der erste Mechanismus wird als analytisch bezeichnet, da er sich langsam in Gang setzt, prüfend ist und Aufmerksamkeit erfordert. Der zweite Mechanismus wird als intuitiv bezeichnet, denn er greift schnell, ist voreilig und verbraucht wenig Aufmerksamkeitsressourcen. Diese Theorie ist in der Psychologie weit verbreitet und wurde beispielsweise von den renommierten Psychologen Tversky und Kahneman (Wirtschaftsnobelpreisträger) verteidigt. Zusammenfassend wird davon ausgegangen, dass das menschliche Denken in Abhängigkeit von den Ereignissen entweder sehr schnell reagieren kann - selbst auf die Gefahr hin, Fehler zu machen - oder sich mehr Zeit lässt - auf die Gefahr hin, verspätet zu reagieren, aber dabei die Fehler zu begrenzen. Nach dieser Theorie könnte der Glaube an Fake News somit durch einen Mangel an Aufmerksamkeit und geistiger Anstrengung hervorgerufen werden: Die Intuition würde uns irreführen, während der Verstand uns dazu veranlassen würde, Fake News abzulehnen.
Die zweite Theorie, bezeichnet als motiviertes Denken, basiert ebenfalls auf diesem Unterschied zwischen zwei Funktionsweisen des Denkens. Sie bestimmt: Je mehr die Personen ihre Fähigkeit zum Denken nutzen, umso wahrscheinlicher ist es, dass sie ihre vorherigen Anschauungen verstärken. Diese Theorie kann kontraintuitiv sein: Man könnte meinen, je mehr wir nachdenken, desto mehr geben wir unsere Gewissheiten und Anschauungen auf. Zahlreiche Ergebnisse deuten jedoch auf das Gegenteil hin: Intensive geistige Anstrengungen können unsere ursprünglichen Anschauungen bekräftigen. Wir würden diese geistige Anstrengung dazu benutzen, unsere vorherigen Anschauungen zu verteidigen und zu bestärken. Diese Theorie wird von Dan Kahan verfochten. Der Forscher hat zum Beispiel gezeigt, dass hinsichtlich des Themas des Klimawandels jene Personen, die am meisten zum Nachdenken neigen, auch die sind, welche die am stärksten polarisierten (extremsten) Positionen zu dieser Frage einnehmen. Fake News - wir würden ihnen zustimmen, solange sie unserem Interesse dienen!
Die Autoren des Artikels werden also versuchen zu bestimmen, ob der Glaube an Fake News mit ideologischer Nähe zu den Teilnehmern bei einer kognitiven Anstrengung stärker gefestigt wird, wie dies die Theorie des motivierten Denkens voraussagt.
Die entwickelte Methode:
Die Autoren haben zwei experimentelle Studien durchgeführt. Wir stellen hier nur die zweite vor, welche die erste Studie in größerem Umfang nachbildet.
1463 Teilnehmer werden für die Studie gewonnen, die im Sommer 2017 stattfindet. Sie werden politisch eingeordnet anhand einer Frage, bei der sie wählen sollen, Hillary Clinton zu unterstützen oder Donald Trump (um die Teilnehmer zu einer Antwort zu zwingen, wird keine weitere Alternative angeboten). 55,6 % der Teilnehmer geben Clinton an.
Den Teilnehmern werden 24 Informationen im Facebook-Format (Foto, Schlagzeile, kurzes Resümee) vorgelegt. Die Hälfte davon sind Fake News, die von einer Faktencheck-Website stammen (Snopes.com), die andere Hälfte sind überprüfte Informationen. Für jeden Informationstyp haben die Autoren sichergestellt, dass die Hälfte pro Clinton ausgerichtet ist und die andere Hälfte pro Trump (rund hundert Personen wurden im Vorfeld danach befragt).
Um die von den Teilnehmern eingesetzte Denkweise zu testen (intuitiv oder analytisch), bieten die Autoren ihnen einen häufig angewendeten Test an: den Cognitive Reflection Test (CRT).
Das Besondere an diesem Test ist, dass er drei Rätsel aufgibt, die eine offensichtlich erscheinende, aber falsche Sofortantwort suggerieren. Eins der Rätsel als Beispiel:
„Ein Schläger und ein Ball kosten zusammen 1,10 $. Der Schläger kostet 1 $ mehr als der Ball. Wie viel kostet der Ball?“
Die offensichtliche Antwort scheint 0,10 $ zu sein. Diese Antwort gaben 65 % der Teilnehmer einer vorangegangenen Studie von Pennycook. Die korrekte Antwort ist jedoch 0,05 $. Diese zweite Antwort (die analytische Antwort) erfordert nach der Zwei-Prozess-Theorie, die zuerst auftauchende Antwort auszublenden (die intuitive Antwort), um die Aufgabe sorgfältiger zu analysieren.
Die Autoren argumentieren folgendermaßen:
Für jede vorgelegte Information sollen die Teilnehmer also deren Exaktheit beurteilen (dieselbe Frage wie im ersten Artikel des Teams). Am Ende der Befragung führen sie den Cognitive Reflection Test durch.
Die Ergebnisse untermauern die Vorhersagen der klassischen Theorie des Denkens: Die Teilnehmer mit den höchsten Punktzahlen im Cognitive Reflection Test schenken den mit ihren politischen Positionen übereinstimmenden Fake News nicht mehr Glauben als die Teilnehmer mit weniger guten Testergebnissen. Im Gegenteil, die eher intuitiven Teilnehmer haben die Fake News im Allgemeinen als exakter beurteilt als die eher analytischen Teilnehmer. Dennoch bemerken die Autoren, dass insgesamt die Teilnehmer, die angegeben haben, Trump vorzuziehen, sich Fake News (jeder Art) gegenüber leichtgläubiger verhielten. Dieses Ergebnis wird von den Autoren nicht interpretiert, da sie keine vorherige These aufgestellt haben (in der experimentellen Forschung besteht die empfohlene Vorgehensweise darin, nicht im Nachhinein zu versuchen, ein nicht vorhergesehenes Ergebnis auszudeuten).
Wir stellen hier den letzten Artikel dieser Reihe vor, die den Zusammenhang zwischen analytischem Denken und Fake News bestätigt.
Auch hier gleicht die Methodik den vorangehenden Studien.
948 Teilnehmer werden gewonnen, um die Exaktheit [accuracy] von 24 Informationen (12 falsche et 12 überprüfte) zu beurteilen. Um das psychologische Profil der Teilnehmer festzustellen, führen die Autoren mit ihnen eine Reihe von Tests durch, darunter der in der vorangehenden Studie vorgestellte Cognitive Reflection Test.
In dieser Studie verfügen die Autoren über Hypothesen hinsichtlich einer möglichen Verbindung zwischen dem Glauben an Fake News und drei psychologischen Dimensionen: Wahn, Dogmatismus, religiöser Fundamentalismus. Sie nehmen also mehrere Tests vor, um das Niveau der Teilnehmer in Bezug auf jede dieser psychologischen Dimensionen zu messen.
Um den Einfluss dieser verschiedenen Dimensionen auf den Glauben an Fake News zu testen, führen die Autoren eine Mediatoranalyse durch. Diese statistische Methode ermöglicht es, den Gesamteinfluss einer Dimension auf den Glauben an Fake News zu beurteilen. Sie erlaubt auch die Messung des Einflusses einer zweiten Dimension auf diese Beziehung (wir werden diesen Punkt im Abschnitt Ergebnisse veranschaulichen).
Dank der Autoren konnte auf den Zusammenhang zwischen analytischem Denken und dem Widerstand gegen Fake News aufmerksam gemacht werden. Diese Fährte wäre erfolgversprechender als die verschiedenen vorgeschlagenen Labelings zur Warnung der Internetnutzer über die potenziellen Gefahren der Desinformation. Das analytische Denken zu fördern ist jedoch keine einfache Sache.
Zur Vertiefung können die Leser zwei dieser Artikel direkt einsehen, diese sind frei zugänglich:
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6279465/
Der dritte Artikel kann im Dokumentationszentrum der Descartes-Stiftung eingesehen werden.