Die mediale Aufbereitung der am 28. April 1986 im ukrainischen Kernkraftwerk Tschernobyl ereigneten Katastrophe hat sämtliche Ausprägungen der Falschinformation vereint. Dem Gebot der Faktizität unterworfen, das wenig Raum für Unentschiedenheit und Unentscheidbares lässt, haben die Medien über den Zwischenfall und seine Folgen berichtet, wie sie eben konnten. Freilich, das Märchen von der Wolke, die Frankreich vermieden hätte, wurde schnell angezweifelt. Als ein Exemplar dieser von den Zeitungen des 19. Jahrhunderts angeprangerten, sogenannten „Zeitungsente“ hat es Debatten heraufbeschwört und ist zu einem eigenständigen Thema geworden: die Art und Weise, wie sich Falschinformation verbreiten kann. Aber Faktizität ist nicht gleich Wahrheit, und wenn Erstere sich als ungreifbar erweist, wird Letztere im Allgemeinen umstritten. So verhielt es sich mit der Frage der vom Durchzug der berühmten Wolke hervorgerufenen Gesundheitsschäden, die bis heute noch Gegenstand von Kontroversen ist. Dieser Artikel nimmt sich der Akte noch einmal an und hinterfragt die Falschheitsstrukturen, die den Rahmen dieses langen Feuilletons abgaben: Falschheit aufgrund mangelnder Information, Falschheit durch Rückhalt von Information, Falschheit infolge diverser Manipulationen und schließlich Falschheit in Abhängigkeit von epistemischem Versagen. In Betracht gezogen wird dabei die Schwierigkeit der Journalisten damals, ein solch gleichermaßen technisches und „explosives“ Thema zu behandeln.